Kolumnen April 2015 - April 2017
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    Zugspitz Ultratrail 2017



    In unruhigem Halbschlaf denke ich mir: ist es nicht viel zu hell draußen? Ach, egal. Moment mal! Ich schaue auf den Wecker, der offenbar zu leise war. 5:35 Uhr! Verschlafen! Na, noch kein Grund zur Panik, der Bus fährt erst halb sieben, aber jetzt hurtig. Die bereitliegende Rennuniform anlegen, zum Waschraum hetzen, genau 10 min gebe ich mir. Dann Brötchen kauen und zugleich Ausrüstung vollenden, zur Not kann ich auch Multitasking, Wasserflaschen füllen, wo ist die blöde Busfahrkarte jetzt wieder?, noch einen Energieriegel anknabbern und zwei Schokokekse in die Gürteltasche, schaff ich vielleicht unterwegs, Rucksack, Stöcke, nun aber fix. Zelt zu und eilig zur Haltestelle vom Eibseebus, der zum Glück jetzt, kurz vor der Startzeit (7:15), seinen Betrieb eröffnet. Letztes Jahr fuhren mit dem nur etwa fünf Leute. Diesmal streift er die neuen Parkstellflächen und ist entsprechend proppevoll. An jeder Haltestelle bildet sich eine lange Schlange am Einstieg, alle kramen verdutzt ihr Notgeld aus den Laufrucksäcken, meist die empfohlenen 20 Euro, die erstmal gewechselt werden müssen. Bringt den Busfahrer aber nicht aus dem Konzept, der in aller Seelenruhe jeden abkassiert, und wenn es bis morgen früh dauert. Kurz vor sieben sind wir dann endlich in Grainau, nicht viel schneller als gelaufen, aber reicht ja, denn den Dropbag habe ich zum Glück schon gestern abgegeben. Noch mal gründliche Kontrolle der Pflichtausrüstung und ich kann mich etwa in der Mitte des Startfeldes einreihen, Stöcke aufgeklappt, reicht noch für die Kekse. Highway to hell, naja, passt schon, runterzählen und los geht es mit der Marschkapelle. Dann langsam in Bewegung setzen, irgendwie schläft mein Körper noch, ich kann kaum die Füße heben. Na wird schon, erst mal reinfinden ins Rennen, wie es im Trail-Jargon heißt. Zeit genug ist ja. Wetter soll endlich mal wieder gut werden, nach dem verregneten Vorjahr und der wegen Schneefall verkürzten Strecke vor zwei Jahren. Trocken, aber bedeckt und nicht zu warm. Zunächst geht es ziemlich flott voran, oberhalb Grainau, Hammersbach, Höllental hoch. Hier heißt es vor allem, sich nicht von den Stöcken des Vordermanns abstechen zu lassen, immer wieder stößt einer mit einer plötzlichen Bewegung beim Auf-die Uhr-Schauen oder Schweißtupfen oder einfach mal so zum Spaß weit ausholend hinter sich. Außerdem sortiert sich das Feld hier noch stark und bis zur Gamsalm gibt es jede Menge rasante Überholmanöver und die Leute springen einem einfach mit den Stockspitzen voran direkt vor die Füße. Die Frau, die mich auf die Art gleich zweimal fast zu Fall bringt, ist am Ende zehn Minuten vor mir da, das hat sich doch echt gelohnt! Aber niemand hat behauptet, Trailrunner seien die besseren Menschen. Die ersten steilen Skipisten bergauf mit den schönsten Blicken auf die Zugspitze. Hinter mir läuft einer in voller Gebirgsjägermontur und mit leichten Wanderstiefeln. Er ist wohl schon so einige Bergrennen mitgelaufen, allerdings noch nie so weit und meint, alles unter zwanzig Stunden wäre prima. Das kann ich nur unterschreiben: letztes Jahr in dem ganzen Schlamm bin ich mit knapp 23 h ins Ziel geschlittert. Bisschen schneller bei dem idealen Wetter ist natürlich Pflicht, ob es aber drei ganze Stunden werden können? Die Sonne blinzelt nur ab und zu durch die treibenden Wolken und ein kühler Wind fächelt einem Luft zu. V1 Eibsee-Alm, so langsam geht's auch mit der Lauferei. Und schon rüber nach Österreich, ob hier wohl bald wieder ein Schlagbaum steht? V2 Gamsalm, 10 min schneller als im Vorjahr, aber die schwierigen Sachen kommen ja erst noch. V3 Pestkapelle 5 min aufs Vorjahr, aber hier setzte dann auch das richtig schlechte Wetter ein, mit Starkregen, Graupel und handfester Kälte, ab hier würde ich also aufholen. Hoch zum Feldernjöchl, rüber zum Steinernen Hüttl, dann runter zur Rotmoosalm und weiter den ganzen langen Abstieg, jetzt viel besser und schneller laufbar. Dann endlich Hämmermoosalm und schon mal eine ganze Stunde Vorsprung. Noch ein bisschen Gehügel auf schönen Waldwegen und rauf zu Wangalm und Scharnitzjoch, inzwischen brennt die Sonne doch sehr stark, dahinter ins Tal runter und nach immerhin zehn Stunden Laufzeit die Halbzeit bei V5 Hubertushof (km 53). Wäre bis hierhin, mit diesen krassen Auf- und Abstiegen, schon ein anspruchsvolles Rennen, ist aber erst die Hälfte. Das muss man in seinem Kopf erstmal unterbringen. Wenn man weiß, was jetzt alles noch kommt und dass es nochmal fast genauso lange dauern wird. Wie in der Mitte eines sehr dicken, epischen Romans und man hat noch tausend spannende Seiten vor sich. Dafür liebe ich dieses Rennen. Jetzt bleibt es erstmal 10 km flach, am Fluss entlang, bis zur Leutascher Geisterklamm und zum Schützenhaus Mittenwald (V6). Die haben wie letztes Jahr sehr ehrgeizig leckere Sachen gekocht (vegan - und das von Schützen!) und gebacken: kulinarisch das Highlight. Steige jetzt von Energieriegeln um auf Buchweizengrütze, Kaffee und Kuchen. Das leckere Essen und die hereinziehende Abendstimmung bremsen mich ein wenig. Wandern ist doch auch schön, oder? Dann nach nur 4km V7 Ferchensee (km 67) und wir nähern uns den letzten Herausforderungen. Schloss Elmau diesmal im Hellen passiert, kurz vor dem Abstieg zur Partnach muss die Stirnlampe raus. Die kurvenreiche Strecke lässt sich sehr gut laufen und ich überhole eine Menge andere Läufer. Dann kommt der Ort und der Abstieg zur Klamm. Ein Mann am Wegrand ruft mir zu: Verpflegung in 800m. Scherzkeks, denke ich, allenfalls Luftlinie. Runter bis zum Fluss und dann die ewigen Serpentinen auf dem wirklich sehr steilen Aufstieg. Immer wieder schön, aber irgendwann ist man schließlich oben. Nur noch 20km bis nach Hause, die wollen's jetzt aber nochmal wissen. Erst der sanft steigende Waldweg, dann durchs Unterholz und anschließend hoch zum Längenfelder, das sind auf nur 4km 600 Höhenmeter aufwärts. Zum Glück nicht ganz so steil wie eben, aber es zieht sich. Während immer wieder Leute keuchend am Wegesrand rasten müssen, kann ich einem Läufer folgen, der in angenehmem Tempo und stetig wie ein Uhrwerk vor mir her stapft. Seine Stöcke hat er im Rucksack, na, wenn er sie hier nicht braucht, dann sind sie wohl nur Dekoration. Nachts oben auf dem Längenfelder ist eigentlich immer die schönste Stimmung. So kurz vorm Ziel und viele wirklich am Ende ihrer Kräfte angekommen. Es wird gejammert, getröstet, still gelitten und aufgemuntert. Alle Wünsche und Strebungen des Alltags sind wie weggeblasen und schrumpfen auf das eine Ziel: nur ankommen. Es ist erst kurz nach zwölf, also noch früh im Rennen, die Verzweiflung hier hält sich also noch in Grenzen. Eigentlich geht es den meisten noch verhältnismäßig gut. Wenn nicht, hätte man auch noch genügend Zeit, sich im geheizten Zelt aufzuwärmen, eine heiße Suppe zu trinken und dann ganz gemütlich den Rest abzuspazieren. Wenn der Kopf mitspielt. Noch will ich nicht spazieren, ist schließlich ein Rennen, also auf zum Osterfelder. Neuerdings gibt es am Weg eine Kontrollstelle. Schon im letzten Jahr hatte man bei einigen Zeiten den starken Eindruck, dass hier manche abgekürzt haben und gleich ins Tal gelaufen sind. Jetzt zieht auch noch dichter Nebel herein und binnen Minuten sieht man keine zwei Meter mehr, selbst der Wegrand ist kaum zu erahnen. Ich folge vertrauensvoll meinem Vordermann, es ist zufällig wieder derselbe wie beim letzten Aufstieg, der scheint einen Plan zu haben. Irgendwann geht es endlich wieder abwärts und ich muss mich auf den Weg konzentrieren. Überhole noch einige junge Leute, die lauthals jammern, weil es nochmal einige Meter aufwärts geht, als müssten sie jetzt sterben. Schnell vorbei und ab nach Hause. Noch einen Tee am VP und jetzt den Jägersteig runter. Läuft ganz gut, ich schaue auf die Uhr. Irgendwie habe ich die ganze Zeit gedacht, vor 4 Uhr wäre ja super und auch unter 20 Stunden ... jetzt rechne ich nach und mir wird klar, dass unter 20 Stunden hieße, dass ich vor 3:15 im Ziel bin. Jetzt ist es 2:30, noch etwa 6 km, ups, das wird eng. Na muss auch nicht unbedingt ... andererseits ist das ja ein Wettkampf. Ich denke, unten von Hammersbach ins Ziel, flach und Asphalt, sind ca. 2km, wenn ich also gegen 3:00 unten bin, ist das machbar. Also Beine in die Hand genommen, der Weg ist teilweise sehr steil, wurzelig, geröllig. Teilweise aber auch gut laufbar. Also so schnell es geht. Durch den Wald sieht man die Lichter von Grainau näherkommen, irgendwann rauscht der Hammersbach und es wird sehr schlammig, ich komme wieder ganz schön ins Schlittern, hier bin ich letztes Jahr noch schmerzhaft gestürzt. Aber dann wird es endlich flach, ich suche schon nach dem nächsten Abstieg, bis ich realisiere: ich bin schon unten. Was sagt die Uhr? 3:02 Uhr. Dann gib ihm! Beine in die Hand genommen und die Dorfstraße entlanggewetzt. So schnell war ich im ganzen Rennen nicht. Wie war das? Wer zum Schluss noch sprinten kann, hat sich im Rennen nicht richtig angestrengt? Egal, Abzweig in den Feldweg nicht verpassen. Hier im Dunkel der Straßenlaternen ist die Markierung echt schlecht zu sehen. Gut, aber im Grunde weiß man ja, wo's langgeht. Einen Läufer hole ich noch ein. Auch der scheint nur einen Gedanken zu haben und fragt mich: schaffen wir die 20h noch? Aber sicher sage ich, jetzt ist es 3:10 Uhr und wir sind kurz vorm Zugspitzbahnhof. Dummerweise renne ich dann voraus und bemerke nicht, dass ich hätte rechts abbiegen müssen, weil sich der Zieleinlauf ja von hinten durch den Park annähert. Zum Glück hält mich ein Ordner auf und schickt mich zurück (anscheinend bin ich nicht der erste). Sekunden verloren, aber egal. Parkweg, Zielbogen und die Uhr zeigt 3:13:45. Passt! Ziellinie, Händeschütteln, sich Freuen. Geht doch. Immerhin sind noch ein paar mehr Leute da als früh um 6, wie letztes Jahr. Einige Unermüdliche halten sich an ihrem letzten Bier fest und ich trinke noch einen feinen Kaffee, bevor ich Dropbag und T-Shirt abhole und mich auf den Weg zum Zeltplatz mache. Nach einer weiteren halben Stunde Wanderung durchs nächtliche Grainau, bin ich endlich am Zelt. Duschen und 5:30 liege ich endlich im Schlafsack. 5:38 wachen die Kinder im Nachbarzelt auf und die Wohnwagenfahrer starten ihre Dieselmotoren ... Immer noch ein geiles Rennen mit super Helfern. Danke dafür! Und Schxxx auf die Punkte ...


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