Kolumnen April 2015 - April 2017
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Ultra Trail du Mont Blanc 2017
Seit ich 2012, noch vor meinem ersten Marathon, den Erlebnisbericht von Hubert Beck in dessen Trainingsbuch gelesen habe, geht mir der UTMB nicht mehr aus dem Kopf. Wie oft habe ich diese Strecke auf der Karte verfolgt, wie oft das Profil ehrfürchtig staunend bewundert, die klangvollen Namen der einzelnen Stationen vor mich hingemurmelt. Und nun ist es endlich soweit. Mit 2.536 anderen stehe ich am Start auf dem Place du Triangle de l'Amitié in Chamonix, am Fuße des Mont Blanc, den wir in höchstens 46,5 h umrunden wollen. Dieses Jahr mit 167,5 km Länge und +/- 9.457 Höhenmetern.
Schon seit Tagen beherrscht eine ganz eigene Stimmung die Stadt. Zum einen finden natürlich die anderen Rennen statt (PTL, TDS, OCC). Zum anderen bewegen sich überall sportliche Menschen mit hochtechnologischer Funktionskleidung, hippen Trailschuhen und bunten Laufrucksäcken durch die Gassen. Kleine Trainingsgruppen eilen hin und her und frönen unermüdlich ihrem Bewegungsdrang. Mittwoch ist es noch brühwarm und hochsommerlich, aber das Tief schon angekündigt: ab Donnerstag Temperatursturz, Regen, in den Höhenlagen Schnee. Über die endgültige Streckenführung soll erst Freitag, also am Starttag, entschieden werden. In der 15-jährigen Geschichte des UTMB gab es erst einen Abbruch 2010 wegen Unwettern mit anschließendem Neustart in Courmayeur und 2012 wurde eine komplett alternative Route gelaufen. Nach all dem Vorlauf mit Punktesammeln, Auslosung und persönlicher Investition will man jetzt natürlich nichts von Änderungen hören. Aber das Rennen findet draußen in der Natur statt, da gehört das Wetter nun mal dazu. Freitag Mittag gibt es das Okay, ab 2000 m ist mit Schnee zu rechnen, kalt soll es sein, es wird aber die Originalstrecke gelaufen, bis auf zwei Gipfel (Pyramides Calcaires und Tête aux Vents), die umgangen bzw. ausgelassen werden. Die Gesamtstrecke verkürzt sich von 171,5 km auf 167,5 km. Damit kann man leben.
Der Start gehört zu den Highlights der Inszenierung UTMB. Erst das Gewusel der wartenden Läufer und der Mengen von Zuschauern, dicht gedrängt auf den Straßen und Balkons, die einzelne Vorstellung der Topläufer. Dann die pathetische Filmmusik als Untermalung, wie das Feld langsam stiller wird und ein Moment der absoluten Spannung und Konzentration entsteht, der Kamerahubschrauber in Position geht. Dann strömt die Menge los zu den Klängen von Conquest of Paradise in ein großes Abenteuer, das für die meisten mehr als einen Tag und zwei Nächte dauern wird. Die Straßen aus der Stadt sind dicht gesäumt von beinahe hysterisch jubelnden Menschen, unglaublich, so etwas habe ich noch nie erlebt. Auch später in den kleinen Dörfern, selbst mitten in der Nacht stehen die Leute wie bei der Tour de France und brüllen wie ein Mantra "Allez, allez, allez! Bravo!", an jedem noch so einsamen Gehöft steht noch eine Handvoll mit Rasseln und Kuhglocken. Stark!
Das erste Stück bis Les Houches ist flach und gut laufbar, nur nicht zu schnell angehen, es ist voll, sehr voll und man muss höllisch aufpassen, nicht über die anderen zu fallen. Dann der erste kleine Anstieg nach Le Delevret, drei Leute machen am Wegrand eine Laufschuhstatistik: einer, den Kopf dicht über dem Boden, brüllt die Marken in rasender Geschwindigkeit, die anderen machen Strichlisten. Schon ist es dunkel und es geht mit Stirnlampe weiter. Runter nach Saint-Gervais und wieder Mengen von unermüdlich jubelnden Menschen. Echt krass, der Führende ist immerhin schon über eine Stunde durch. Jetzt wird es hügelig bis Les Contamines, dann allmählich steiler bis La Balme. Dort lasse ich mir eine heiße und extrem salzige Nudelsuppe munden, die von nun an meine Standardverpflegung wird, gemischt mit Riegeln, Keksen, Schokolade und Cola. Und auch die folgenden Stunden geht es stramm bergauf zum ersten Gipfel auf knapp 2500 m am Croix du Bonhomme, den ich kurz nach zwei erreiche. Unterwegs bietet sich das wunderbare Bild einer endlos langen Lichterkette, die sich vor mir den Berg emporwindet und hinter mir fast an den Horizont zurückreicht. 900 m geht es runter, kurze Stärkung in Les Chapieux, dann wieder 1000 m rauf. Dieser Anstieg zieht sich wirklich, es wird eiskalt, leichter Schneefall setzt ein, wir bewegen uns wie in Zeitlupe. Als sich eine Läuferin völlig erschöpft am Wegrand in den Schneematsch setzt, muntert ein Franzose sie auf: nur noch zweihundert Meter. Das gibt auch mir neue Energie und gegen 5:30 Uhr erreiche ich endlich den Col de la Seigne. Jetzt lassen wir einen kleinen Schlenker (200 m runter/ 300 m rauf) aus und brettern direkt runter zum Lac Combal, hinter dem die Morgensonne wartet, die mit roten Strahlen auf die schneebedeckten Gipfel der Mont-Blanc-Gruppe scheint. Einfach atemberaubend schön. Bei Tageslicht und Sonnenschein geht es jetzt flott voran: Arrête du Mont-Favre und Col Checruit, wo es leckere Nudeln mit Tomatensoße gibt. Im Tal kann man schon Courmayeur liegen sehen (ca. km 80), das ich kurz nach neun erreiche. Am Ortseingang erwartet mich meine Supporterin, das tut wirklich gut, hier draußen einen lieben Menschen zu treffen, und begleitet mich zur Sporthalle, wo wieder Mengen freundlicher Menschen und die Dropbags warten. Ich wechsle einige Sachen, fülle Vorräte auf, verdrücke noch mehr Nudeln und genieße einen heißen Kaffee, bevor ich mich wieder auf den Weg mache. Ist ja noch ein Stück. Durch den Wald geht es hoch zur Refuge Bertone und ich muss an den Tor des Geants denken, der in wenigen Tagen hier in der Gegenrichtung auf seine letzten Meter geht. Das wäre auch so ein Traum, leider für mich im Moment unerschwinglich. Aber noch bin ich ja auch hier beim UTMB und ich muss mich manchmal kneifen, damit ich das glaube. Bertone, Bonatti, es macht gerade sogar richtig Spaß (ich weiß, das geht vorbei!). In Arnouvaz werden alle in Regenhosen gesteckt, die zumindest, die das mit der Pflichtausrüstung verstanden und eine dabei haben. Einige andere beginnen, hektisch zu telefonieren, viel Glück. So schlecht ist diese Anweisung nicht, denn der folgende steile 700-m-Aufstieg auf den Grand Col Ferret ist vom ersten Meter an von tiefem Schlamm am Boden und hartem Schneeregen und heftigen Böen von oben und allen Seiten begleitet. Das Tempo ähnelt jetzt dem einer Himalaya-Expedition ohne Sauerstoff, aber stetig geht es voran. Endlich oben (ca. 100 km sind geschafft) wird es auf der Schweizer Seite nur schlimmer: eisiger Wind und Schnee im Gesicht und ein langer Weg nach unten. Bergauf komme ich meist schneller voran als die anderen, bergab drängeln die dann hinter mir, scharren mit den Hufen, bis ich sie vorbeilasse oder schubsen mich einfach beiseite. Gut, wenn man's eilig hat. Bergab bin ich nicht so schnell, da fehlt mir in Berlin die Übung. Dieselben Leute wechseln im Tal auf der Straße dann ins Spazierengehen, wo ich die Hälfte wieder einkassiere ... Am ersten Gehöft steht sogar ein richtiger Schweizer Gendarm und ein Südamerikaner muss sogar seinen Ausweis rauskramen, Ordnung muss sein. Von La Fouly aus geht es weiter gut laufbare Wege bergab in den Abend hinein, auf halber Höhe sieht man schon das "Felsennest" Champex-Lac (ca. km 125). Im Wald hinauf beginnt es wieder heftig zu regnen. Jetzt kurz vor neun am Anfang der zweiten Nacht würde ich mich gerne zehn Minuten langmachen, aber das Matratzenlager (für etwa 12 Leute ...) ist prall gefüllt. Statt zu warten, bis jemand ausgeschlafen hat, trinke ich lieber einen ultradünnen Kaffee, wenigstens kann ich damit meine Koffein-Tablette runterspülen. Das muss jetzt reichen. Und wieder hoch und runter durch dicken Schlamm, eher so eine Art Rutschpartie (und immer noch schlittern eine Menge anderer schneller bergab). Jetzt kommt noch ein kaputter Akku in meiner besseren Stirnlampe dazu und ich sehe mit der Ersatzlampe erheblich weniger, was mich weiter verlangsamt. Hinlegen will ich mich hier draußen nicht. In Trient, kurz nach zwei Uhr morgens, werden viele Läufer, besonders die Japaner, von ganzen Familien betreut und aufgepäppelt, die ihnen die Beine massieren und Essen einlöffeln. Sehr hübsch. Der Erlebnisurlaub für alle. Viele schlafen auch im Sitzen mit den Köpfen auf den Tischen, völlig erschöpft. Und noch einen schlammigen Hügel rauf und runter, mehr hätten's jetzt auch nicht sein müssen, dann Vallorcine und endlich wieder Morgenlicht. Das ist das Blöde an diesem Rennen, dass es durch traumhafte Landschaften überwiegend nachts führt und man so wenig davon sehen kann. Jetzt geht es zum Col de Montet fast unmerklich aufwärts und danach weiß keiner wo lang, wie weit, wie hart die Abkürzung zu La Flégère führt. Erst geht es langsam aufwärts, dann kreuz und quer durch den Wald, weit nach oben, dann wieder steil hinab über Wurzeln und Steine, anstrengendes Gelände, dann auf halber Höhe um den Berg herum und nachdem man die Hoffnung schon fast aufgegeben hat, öffnet sich das Gelände und man sieht weiter oben endlich die Hütte. Letzte Station vor dem Ziel. Dort sind die Helfer sehr rührend und nötigen einen auf Stühle, um dann alles heranzubringen, was man begehrt. Langsam löst sich der Nebel im Tal auf und die Sonne setzt sich durch, jetzt ist, glaube ich, ein guter Zeitpunkt, die letzten 800 m abwärts in Angriff zu nehmen. Immer noch hetzen pausenlos Leute an mir vorbei, dabei glänzt jetzt der Weiße Riese im hellsten Licht und gänzlich wolkenlos zu uns herüber, schöner kann ein Zieleinlauf nicht sein. Und ganz ehrlich, wen interessiert es, ob ich am Ende Platz 714 oder 923 belege? Also lasse ich alle durch und bedanke mich lieber artig bei den über 50 Leuten, die mit offenbar sportlichen Absichten den Berg hinaufkommen und jeden Läufer nochmal anfeuern oder beglückwünschen, obwohl ihnen der Mund schon ganz fusslig sein muss. Wirklich großes Kino. Dann endlich unten geht es noch ein bisschen Zickzack durch die Stadt, die mit krakeelenden Leuten gut gefüllt ist, die unermüdlich einen Höllenalarm machen. Dafür hat es sich echt gelohnt, das macht richtig Spaß. Da ist meine Supporterin, die mich die letzten Meter begleitet, da die letzte Kurve, da der Zielbogen und nach 41h 03 min ist es geschafft.
Ein bisschen Entzauberung war auch dabei, denn jenseits all der romantischen Vorstellungen ist es am Ende wie jeder Ultra auch einfach anstrengend, schmutzig und schmerzhaft. Außerdem mit 2.500 Läufern sehr, sehr voll. Dennoch habe ich mir damit einen langgehegten Traum erfüllt und bin mit diesem Erlebnis hochzufrieden.
Für die Statistik: Platz 877 (810 Männer) von 1.688 Finishern (Start: 2.537), davon 147 Frauen; DNF: 849.
Sieger: Francois d'Haene (19:01:54) vor Kilian Jornet und Tim Tollefson; Núria Picas (25:46:43) vor Andrea Huser und Christelle Bard.
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