Kolumnen April 2015 - April 2017
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Balduin Brachlands Hausapotheke
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Balduin Brachlands Hausapotheke (2010) - Auszüge
Alles falsch
"Man muss den Tag schmieden, solange er heiß ist", seufzte Jacobi in sein Kopfkissen und wälzte sich auf die andere Seite. Der Wecker bellte wie der Hahn auf dem Mist, aber das Wetter blieb, wie es war. Es regnete wie aus Pfannen und Dübeln oder Pannen und Übeln. Aber Regen bringt Segen, Morgenstund – Daumen im Mund, früher Vogel bringt Kummer und Sorgen. Also raus aus den Federn, rin in die Kartoffeln.
Wieselflink glitt Jacobi über die mausgrauen Perser ins nasskalte Badezimmer. Kristallen stoben die Tropfen vor seinem Angesicht auseinander wie die Berserker vor Wien, als der Messias unter sie fuhr. Golden floss der Stahl aus den Messinghähnen. Die Frisur an den Haaren herbeigezogen. Flink wie ein Windhund sauste der Kruppstahl über die Stoppeln seiner zähledernen Wangen. "Wer zagt, gewinnt", stöhnte das Radio, und: "Junge, komm bald wieder", zischte die Kaffeemaschine, als er aus dem Fenster sprang, nachdem er die Türen sorgfältig geschlossen hatte.
"Aber das ist ja alles ganz falsch", säuselte der warme Mittagswind in die gespitzten Augen, während seine Ohren vor Müdigkeit zuzufallen drohten. "Zeit ist Welt, Welt regiert die Zeit. Müßiggang ist nur der Anfang."
Ein warmer Strom flüsternder Automobile rauschte gischtspritzend die Straße entlang. Jacobi hangelte sich an den Seilen zum Bushaltestellenhochsitz hinüber, aber der 78er glibschte gerade eben aufheulend von dannen. "Wie obszön", meinte die staksige Elfe, die hinter ihm hereinplumpste. "Da haben wir aber einen ganz schön großen Walfisch geschossen."
"Besser einen Fisch als gar kein Fleisch", erwiderte Jacobi und blinzelte vertraulich mit den Ohren. "Hangeln wir uns doch zu Fuß", schlug er der Elfe vor, die auch gleich ein Nachsehen hatte und sich bereitwillig unterhakte. Auf dem Weg, der ein Spiel war, schaute Jacobi nach dem Rechten und verlor sich in den meerschwarzen Ohren seiner Begleiterin. "Das Glück ist ein warmes Gewehr", versuchte Jacobi den Mais zu dreschen, aber die Elfe kreischte nur still vor sich hin. So schwangen sie eine lange Weile Richtung Innenstadt, während das heiße Schweigen zwischen ihnen fortdröhnte. Plötzlich zischte eine Schwalbe ohne Sommer über den schafslockigen Himmel, der sich mit Geigen bezog, und über kurz und lang regnete es Katzen und Hunde, so dass man den einen Fuß nicht mehr vor dem anderen sehen konnte.
"Lass uns zur Erde niedersteigen, unter die Ungläubigen treten, ihnen das Himmelreich für ein Dach anbieten und Friede auf Erden und uns ein Wohlgefallen", lispelte die Elfe, die im übrigen Elvira hieß. "Das schlägt dem Fass den Schädel ins Gesicht", rief Jacobi vom Glück entzückt und ließ alle Seile fahren.
"Unerträglich, geradezu unerträglich falsch ist das hier", murmelte er liebevoll in Elviras linkes Auge, als sie den kohlrabennachtteerschwarzen Bodensatz der weißgekachelten Fuß-, Grenz- und Müßiggängerzone erreicht hatten, "aber wahre Schönheit kennt keinen Schmerz und trautes Glück allein kommt häufig zu zwein." Elvira blieb auf dem falschen Fuß stehen, blickte zornlos zurück ins Angesicht des herannahenden Jacobi und schloss ihn herzhaft in Beine, Hände, Füße, Augen und Köpfe, während sie mit ihrem Hals sacht wie ein Sturmhauch den seinen berührte. Von mildem Verlangen (in Erlangen oder sonstwo auf diesem Planeten des Paralleluniversums) getrieben,
das wie ein plötzlicher Kälteschauer über seine Innereien herein- und anschließend zusammenbrach und die Schmetterlinge in seinem Kopf zum Krähen brachte wie Nachtigallentrapsen, zerrte Jacobi Elvira liebevoll am Schlafittchen in die nächstgelegene Umkleidekabine eines Schuhgeschäftes, wo sie die entflammten Hälse aneinander rieben bis sie nicht gestorben waren.
"Na hör’n Se ma, ham Se denn keene Ohrn im Kopp. Det is n Schuhjeschäft und keene Kuschelrock Elpie, lassense die Geisel frei und kommse stantepede sofort mit erhobene Hände aus die Umkleide raus oda wir stürm det Ding mit unsre Sondaeinsatzvakäuferin." Puterrot wie die Morgensonne stand ein kugelrunder, schnauzbärtiger Mittvierziger, ein Abziehbild von einem Mann, mit gezogenen und offensichtlich scharfen High-Heels vor der Kabine und zischte wie ein außer Betrieb gestellter Dieselmotor. "Lass Rock da sein, wo er hinjehört, also in die Mauntäins, bei die Äjers oda mittenmang den Balboa oda bei Neumi sein Zirkus oda ... is ja Rock wie Hose aba nich bei mir, det is n anständjes Schuhjeschäft und wennste nich gleich die Beene langmachst un mit dein Flittchen den Kuschelrock über die Ohren ziehst, denn roll ick dir am Rock hier raus, vastehste. Rock n Roll oda Ick will rock you."
"Starker Tabak", musste Jacobi neidvoll erkennen, aber er hatte noch einen Trumpf im Strumpf, den musste er spülen, bevor ihm das letzte Haar von den Zähnen gefressen wurde. Er stopfte Elvira in seine Manteltasche und verließ mit erhobenen Füßen die Kabine. "Entschuldigen Sie bitte, aber wer barfuß läuft, hat auch ein Ziel, und Rock ist eine Sisiphusarbeit für Schotten, die vom Tuten Blasen bekommen, habe die Ähre, der Herr." Der strategische Vorteil, den er durch dieses heimliche
Manöver in Anschlag bringen konnte, verblasste zusehends, während er durch die dichten Reihen der mit gefährlichen Schuhen hochgerüsteten Verkäuferinnen schritt, die mit ungläubig offenstehenden Nasenlöchern seinen Canossa-Abgang verfolgten. Kaum war die automatische Milchglastür hinter ihm aus dem Boden gefahren, prasselten schon Völkerscharen von Stiefeln, Sandalen, Mokassins und Leisetretern in trauter Einigkeit mit recht freizügigen und vor allen Sachen schmutzigen Worthülsen in die Tiefe des Raumes. "Hoch fahren und tief stapeln", ging ihm die silbernste der Lebensregeln durch den Magen wie ein Panzerangriff im Rücken der Viererkette. "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel ist nach dem Spiel ist vor dem Spiel ist nach dem Spiel des Lebens und Spiel- und Eifersucht sind wie zwei liebende Stiefschwestern, die wie Feuer und Flamme zusammenhalten und das Pech haben, den goldigen Namen Marie wie eine rostige Monstranz vor sich herumzutragen."
Punktgenau elf Uhr mittags, zu Beginn der Meisterstunde, ritt Jacobi mit Elvira im Schleppnetz durch hohle Gassen und über sieben Eselsbrücken zum Torschluss hinaus in den Sonnenaufgang. Im Brunnen unter der Linde wisperten die Froschkönige und hineingefallenen Kinder: "Trink, Brüderlein, trink! Gaudeamus et bibamus!" Aber Schwesterchen Elvira, die den Hals schon mit Fröschen voll hatte, warf drei feurige Augenblicke in die von anderen gegrabene Grube und brachte das Fass zum Einlaufen. "Wieviele Straßen müssen wir denn noch hinuntergehn, bis mein studierter Bauch etwas zwischen die zerknirschten Zähne bekommt?" "Zweiundvierzig", blies Jacobi die Antwort in den Wind nach irgendwo da draußen. "Wenn dieser Wald sich bald dunkelt, liegt das Glück der Herde am Ufer der sieben Weltmeere. Dann teilen wir die Fluten mit dem Dreizack, lassen uns an Gesetzestafeln nieder, fressen Narren und brechen unser tägliches Brot in tausend Stücke, verwandeln das Tote Meer in roten Wein, den wir wie vergossenes Blut aus neuen Schläuchen trinken." "Sind wir bald da?", knurrte Elviras Magen mit Verlaub. "Ich wollte heute eigentlich ab fünf Uhr fünfundvierzig zu Hause sein und mit ein bisschen Frieden meinen bösen Nachbarn wachküssen, bis sein Name zu meiner Tür gehört." "Ach, so ist das also?", meckerte Jacobi, dem dieser Knüppel aus dem Sack zwischen die titanischen Beine fuhr, wie ein Eisberg. "Du hast noch mehr Marmor, Stein und Eisen im Strohfeuer. Aber ich will nicht vor Gardinen predigen. Ich werde mein Schicksal wie ein Labsal tragen und keine Träne über die schmollende Lippe lassen. Kein Tag war wunderschön wie heute, Eitelkeit kennt keinen Scherz, und es gibt keinen richtigen Morgen im falschen Gestern. Hier am Scheideweg teilt sich unser halbherziges Leid. Ich nehme die mühevolle Ebene und fahre als Wildgeborener auf der Autobahn zur Hölle, du gehst den steinigen Holzweg zu den Sternen. Ohne Fauxpas und Fehltritt gelangst du auf dem rechten Weg hinter sieben Bergen in ein böhmisches Dorf mit einem spanischen Bahnhof. Dort fährt am jüngsten Tag ein Sonderzug nach Kleinmachnow. Und sehen wir uns nicht auf diesem Feld, können wir ja zwölf Freunde bleiben."
"Tschüss", sagte Elvira, bevor sie ihre Handschuhe zum Gehen wendete, "Bis morgen."
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