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Letzte Worte

von Karl Vitalij Karamasow
23. September 2015

"Solange dein Gast weilt, heiß' ihn nicht eilen, / Noch weilen, wenn du ihn siehest eilen."
(Friedrich Rückert, Die Verwandlungen des Abu Seid ..., 1826)


Wie uns bereits in selig fernen Kindertagen einer der drei großen Bildner der deutschen Seele nach Karl Moik und Karl Marx, nämlich der Phantasiereisende Karl May nicht müde wurde einzutrichtern, ist von allen zwischenmenschlichen Tugenden die Gastfreundschaft die elementarste und von den Apachen über die Beduinen bis hin zu den Hottentotten die unter den Völkern geläufigste. Staubiger Fremder, von Mühsal beladen und vom Schicksal geprüft (wie jede Kreatur), tritt ein in unsere Erdhöhle, nimm dir einen Teller frisch gerösteter Insekten und gönn' dir einen Augenblick der Ruhe. Das haben die Ältesten weitergegeben, die Kriegerischsten und Wildesten respektiert und sämtliche Götter gutgeheißen. Nur an den Sachsen, Angelsachsen und den irgendwie wohl doch nicht mit den netten Finnen verwandten Ungarn muss dieser zivilisatorische Kelch vorübergegangen sein. Die wollen partout niemanden in ihr Zelt lassen und bekommen schon Erstickungsanfälle, wenn ein Fremder am Horizont durch ihr Tal reitet.
Wer hätte das in der schlagbaumstürzenden Gemeinsamkeitseuphorie der Neunziger gedacht: Offene Grenzen, die aber natürlich bittschön nicht einfach so und von jedem x-beliebigen Dahergelaufenen überquert werden dürfen. Heftiges Wehklagen, sobald es nicht mehr nur um gemeinschaftlich einzusackende Profite, sondern auch mal um gemeinsame Probleme geht. Wie auf einem Schulhof für schwierige Kinder: Wenn das so ist, dann spiel' ich nicht mehr mit! Gefolgt von bockigem Türenknallen und Sich-auf-dem-Klo-Einschließen. Noch ein bisschen Natodraht drumrum und den blöden Tunnel gesprengt und man ist wieder ganz mit sich allein. Und wenn die Lehrerin klopft, werfen wir ihr "moralischen Imperialismus" vor. Bloß weil die eine Moral haben, denken sie, sie könnten andere damit belästigen. Dabei sind wir doch bisher ganz gut ohne ausgekommen. Da prostet der Horst schon mal dem Viktor auf der Wies'n zu, denn das sieht der Horst genauso. In das Zelt darf man mit Lederhose und Maßkrug übrigens sogar als Japaner. Da sind die nicht so: wer sich zum Horst macht oder einer ist, darf zumindest eine Maß mit uns saufen. Sofern er sie selbst bezahlen kann. Ist klar, oder?
Machen wir doch Europa einfach ohne die. Sollen sie ihre Reservate behalten und als kauzige Indigene die Erlebnisparks dekorieren. Bowler, Gamsbart, Szûrmantel und Bomberjacke als putzige Fotomotive der Ferienresorts, bevor man sich in die Casinos begibt. Bei den Indianern hat das ja auch geklappt.



Klassiker des Tages

"Die Mixtur, Mensch genannt, ist wohl das tollste Ragout, welches je einem himmlischen Kochbuch entschlüpfte."
(Christian Ernst Karl Graf von Bentzel-Sternau, Weltansichten, 1816)
 
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