Letzte Worte
von Karl Vitalij Karamasow
23. Februar 2016
"Nicht ruhen soll der Erdenkloß, / Am wenigsten der Mann!"
(Johann Wolfgang von Goethe, Gedichte, 7. März 1824)
Wenn in grauer Vorzeit ein wohl beleumundeter, in Saft und Kraft stehender Mann, mit eigen- händig gepflanztem Kind, selbstgezeugtem Baum und aus gebrauchten, naturbelassenen Streichhölzern aufgeschichtetem Eigenheim in die Jahre kam, wo im übertragenen Sinne Gott und Welt, im sehr direkten Weib, Kind und Kegelbrüder bohrende Fragen nach dem Sinn seines Lebens aufs Tapet brachten, er also in die spätpubertäre Verwirrtheit seiner ganz persönlichen Lebensmittelkrise eintauchte, schlaflose Tage (und Nächte) mit quälenden Gedanken an seine unerwartet aufgetauchte Endlichkeit hinbrachte, Seelsorger, Wunderheiler und Urologen um ihre fachmännische Meinung ersuchte, in extremen Fällen sich für Tage (oder Jahre) in Ashram, Fremdenlegion oder seinen Personenkraftwagen zurückzog, um seiner mit Karriere, Fußball und Bäumepflanzen vergeudeten Jugend nachzutrauern, wurde ihm im Allgemeinen zu einem Hobby geraten.
Vom Briefmarkenzähnezählen bis zum Blumentopftöpfern, vom Säbelfechten bis zum Körbeflechten, vom Vesparollern bis zur Verführung Minderjähriger - das machte einst in die Jahre geratene Männer nicht nur lächerlich, auch ein kleines bisschen glücklich und selbstzufrieden (wie zuvor).
Heutzutage hingegen geben sich unzufriedene Männer mittleren Alters kollektiv und unisono dem Genörgel hin, ein Sport, der einst den am Dorfrand auf einem vertrockneten Baumstamm herumlungernden zahnlosen Greisen vorbehalten war. Alle jammern und quengeln, beklagen lauthals ihre ganz spezielle Benachteiligung, ihr besonders schwer zu ertragendes Schicksal, die unerträglichen Beleidigungen des Lebens und ihr Aua am Knie. Nein, der Onkel hat heute keinen Lutscher für dich! Und ja, das fremde Mädchen hat dir gerade die Zunge herausgestreckt. Und nein, das heißt nicht, dass du sie jetzt umbringen musst.
In Prenzlberger Cafés fühlt man sich von stillenden Müttern belästigt, die Briten fürchten sich wieder mal vor der kontinentalen Invasion (haben diese Bonapartisten nicht gerade deshalb einen Tunnel gegraben?), auf der Visegráder Ordensburg sieht man den Mohren heranstürmen (tarnt sich so nicht seit alters der Gottseibeiuns?), die sächsischen Wienverteidiger werfen sich dem heranpreschenden turbantragenden und krummsäbelschwingenden Erlkönig heldenmütig entgegen und finden alle doof außer sich selbst (naja), und Frauke hat einfach Angst vor allem. Manchmal träumt sie nachts, sie wäre Kanzlerin und treffe sich mit den Präsidenten Donald und Marine auf dem Obersalzberg. Dann gehen sie mit doppelläufigen Flinten auf die Jagd am Grenzzaun und beschützen uns gegen die mongolischen Horden.
Von denen hat man auch lange nichts mehr gehört.
Warum nur will denn niemand mehr ein schlichtes Hobby haben? Von mir aus auch die Frauen.
Klassiker des Tages
"Auch der Jammer hat ein Maß."
(Euripides, um 480-406 v.Chr., Der rasende Herakles, Übers. v. Minckwitz)
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